Gemeinde Claußnitz

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Im Jahre 1806 waren im damals preußischen Halle an der Saale französischeTruppen einmarschiert.Bereits zum zweiten Male hatte nun einKrieg vom Leben Türks Besitz ergriffen.

In der Marienkirche als Wirkungsstätte des Organisten waren 2500 Soldaten einquartiert. Später diente die Kirche als Lazarett. Die beiden Orgeln wurden dabei stark beschädigt. Ein ordentliches Spiel war nicht mehr möglich. Auch die Universität, an der Türk unterrichtete war auf Napoleons Geheiß geschlossen worden. Kultur und Geistesleben der Stadt hatten ein schnelles Ende gefunden. Was übrig geblieben war, beschränkte sich auf einige private Aufführungen oder unfreiwillige Huldigungsmusiken für die Besatzer.

Ursprünglich hatte D.G. Türk 1806 noch einige Exemplare seiner „Anleitung zur Temperaturberechnung“ herausbringen können. Die Mehrzahl der Auflage konnte aber erst im Jahre 1808 herausgegeben werden, als die schlimmsten Kriegsereignisse vorüber waren. „Die Temperaturberechnung“ ist Türks letztes großes theoretisch-pädagogisches Musikwerk. Es beschäftigte sich mit der Klanglehre und beschreibt die mathematische Berechnung der einzelnen Töne. Voraussetzung dazu sind meist recht anspruchsvolle Rechenoperationen. Seine anfängliche mathematische Ausbildung während seiner Leipziger Studienzeit dürfte eine gute Voraussetzung dazu gewesen
sein, Musik zu berechnen. Zu Zeiten ohne wesentliche Rechenhilfsmittel war das ein kolossaler Arbeitsaufwand. Manchmal bezog Türk begabte Schüler in die Rechenarbeit mit ein, um dann mehr Zeit für deren Unterricht zu haben. Ausschweifend genau schrieb er mitunter ein ganzes Kapitel um, wenn auch nur der kleinste Zweifel an einer treffenden Formulierung blieb.
 
Türk stand einem gewissen liberalen Gedankengut, das mit der Französischen Revolution hereingeweht war, durchaus aufgeschlossen gegenüber. Die französische Fremdherrschaft hatte gegenüber der verknöcherten preußischen Führung durchaus auch Verbesserungen in Verwaltung, Wirtschaft, Gesundheitswesen und Schulwesen gebracht. Der Niedergang von Kunst, Kultur und Sitten während des Krieges war für ihn aber eine unüberwindbare Schmach. In Briefen an Freunde und Verleger beklagt er den Verlust von Einnahmen. Die ganze Bevölkerung verelendete durch immense Kriegssteuern.
 
Einiges über Türks Haltung und Leben in dieser Zeit erfahren wir aus der Biografie von Carl Loewe. Der spätere Komponist und Balladendichter Carl Loewe war einer der erfolgreichsten Schüler Türks. So soll Türk während der Besatzungszeit zum Schanzen von Befestigungsanlagen eingesetzt worden sein und wiederholt in seinem Umkreis geäußert haben: „Es geht jetzt um den Kopf“. Loewe berichtet auch davon, dass in den Häusern der ganzen Stadt französische Soldaten einquartiert waren. Einer dieser entkräfteten Geschöpfe hatte sich noch bis zum Wohnhaus seines Lehrers Türk geschleppt, sei hier aber unmittelbar vor dem Eingang mit dem Einquartierungsschein in der Hand gestorben.
 
Eines der bestimmenden Jahre in Daniel Gottlob Türks Biografie war das Jahr 1808. Große berufliche Ehrung und tiefste private, seelische Erschütterung standen sich gegenüber.Bei der Wiedereröffnung der Hallenser Universität am 16. Mai 1808wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen. Zugleich erhielt er eine Anstellung als Professor der Musik. Diese nunmehr neben dem Organistenamt zweite bezahlte Stelle ermöglich-
te ihm finanzielle Entlastung und damit Raum für mehr Freiheit in seinem künstlerischen und pädagogischen Schaffen.

Doch lange Freude war ihm nicht vergönnt. Am 02. Oktober 1808 verlor er seine Ehefrau nach fast 25 Ehejahren. Die Typhuserkrankung, an der sie verstarb, nannte man damals „Hitziges Nervenfieber“ und war eine Infektion, die unter den schlechten hygienischen Bedingungen des Krieges um sich griff. Als stiller und tragender Familienmittelpunkt dürfte Frau Türk durch ihr Dasein wesentlich zu den Erfolgen ihres Mannes beigetragen haben. Als Komponist schrieb Türk zu ihrem Andenken zwei bewegende Trauerlieder. Trotz, dass er weiterhin ganz in seiner Arbeit aufging, ist der hochsensible Künstler nie über den Verlust hinweggekommen. Es begleitete ihn danach eine Melancholie, der er nur zeitweise durch seine Arbeit entrinnen konnte. So übernahm er bereits am 22. Oktober 1808 die Direktion des Stadtsingechores von Halle.
 
Der Stadtsingechor, der auf eine jahrhunderte alte Tradition zurückging, war in den Jahrzehnten nach dem Siebenjährigen Krieg immer weiter geschwächt und nach 1803 nahezu bedeutungslos. Türks Aufgabe war hier nicht so sehr die unmittelbare Probenarbeit mit dem ganzen Chor. Vielmehr bedurfte es seiner fachkundigen Organisation. Immer wieder kümmerte er sich um Unterkunft, Betten, Verpflegung, Kleidung, Medikamente, Probenräume und Notenmaterial. Daneben schrieb er in dieser Zeit zahlreiche Chorwerke. Die Schwierigkeit der Partituren passte er der sich wieder steigernden Leistungsfähigkeit des Chores an. Noch 1936 waren Stücke, teils aus Türks eigener Hand, in der Universitätsbibliothek in Stettin aufzufinden. Im zweiten Weltkrieg gingen sie jedoch im Feuer verloren.
 
Die Aufgaben des Chores waren vielfältig. Mehrmals in der Woche wurde in drei verschiedenen Kirchen der Stadt gesungen, manchmal mehrmals am Tage. Dazu kamen ständig die damals üblichen Gesänge in den Straßen der Stadt und bei Festen. Begleitet wurden vielfach Konzerte einheimischer und fremder Künstler. Durch Türks Tätigkeit an der Universität wurde der Chor außerdem auch bei Feiern der Universität eingesetzt.
 
Lange blieb die Finanzierung ein ungelöstes Problem. Wenn die Chorkasse nicht ausreichte, schoss Direktor Türk immer wieder Taler aus eigener Tasche hinzu. Als ihm das schließlich doch zu belastend wurde, schrieb er 1812 einen Brief, in dem er seine Entpflichtung erbat:

„Da ich nicht hoffen darf, den gedachten Bedürfnissen abgeholfen zu sehen ... so wird ein hochlöblicher Schulrath es hoffentlich nicht mißbilligen, wenn ich - sowohl in mancher Hinsicht nur sehr ungern und mit herzlichem Bedauern um meine Entlassung von der Direktion des Singechores ganz ergebenst bitte ...“

Als Reaktion gewährte die Franksche Stiftung einigen bedürftigen Chorschülern freie Kost, sogenannte Freitische und freie Unterkunft. Türk blieb im Amt.
 
Einige der älteren Choristen lebten direkt in Türks Wohnhaus, scherzhaft sprachen sie davon, sie wohnten in der „Türkey“. Diese Meisterschüler erhielten dann eine besondere Förderung. Einigen besonders
begabten aber bedürftigen Schülern konnte er eine Zeit lang staatliche Stipendien vermitteln. Wo Türk gab und förderte, geschah das zwar mit Bedacht, aber immer uneigennützig und oft auch mit eigenem finanziellem Verlust.
 
Als Schüler Türks sind besonders bekannt geworden: Der Violinist Carl Johann Christian Kloß, der Komponist und Sänger Carl Loewe, der Musikwissenschaftler Adolf Bernhard Marx und Johann Friedrich Naue, der als Organist, Komponist, Chorleiter und Musikwissenschaftler nach Türks Tod unmittelbar dessen Nachfolge im Musikleben von Halle einnahm.
 
Zeitlebens war Daniel Gottlob Türk ein körperlich gesunder und kräftger Mann gewesen. Doch ab dem Winter der Jahre 1812/13 litt Daniel Gottlob Türk an Ermattung, Schlaflosigkeit und zunehmenden Verdauungsbeschwer-
den. Am 26. August 1813 verstarb er schließlich an einem Leberleiden. Aus gediegenen dörflichen Verhältnissen kommend hatten ihn Begabung zur Musik, Wissensdurst und ein hohes Maß an Fleiß und Ehrgeiz
von Claußnitz in die Welt geführt. Er hatte das Glück bei seiner Ausbildung in Dresden und Leipzig auf wohlgesinnte Gönner zu stoßen, die seine Fähigkeiten erkannten und förderten. Die Stadt Halle an der Saale, die ihm zum Wirkungsort und zur neuen Heimat wurde, nahm ihn auf, gab dem begabten jungen Mann Entwicklungsmöglichkeiten und profitierte zugleich von seinem vollen Engagement. Daniel Gottlob Türk ergriff die Möglichkeit, in seinem Fache der Musik, zum Lehrer, Wissenschaftler und Künstler emporzusteigen. Gewissenhafte aufopfernde Pflichterfüllung sowie großes musikalisches und wissenschaftliches Können fanden schließlich ihren Lohn in
hoher akademischer Wertschätzung, wie der Ehrenpromotion der Philosophischen Fakultät und der Berufung zum Professor der Musik.
 
Doch eines steht beständig über seinem Lebenslauf: Bei allen Erfolgen, die seine Laufbahn unserem Daniel Gottlob Türk  brachte, ist er doch zu jeder Zeit der bescheidene Junge aus dem
Dorfe Claußnitz geblieben. (dpc)
 
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